Die Folterkammer
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Die Folter (auch Marter oder Tortur) ist das gezielte Zufügen von psychischem oder physischem Leid (Gewalt, Qualen, Schmerz, Angst, massive Erniedrigung) an Menschen durch andere Menschen. Die Folter wird meist als ein Mittel zu einem bestimmten Zweck eingesetzt, beispielsweise um eine Aussage, ein Geständnis, einen Widerruf oder eine Information zu erhalten oder um den Willen und den Widerstand des Folteropfers (dauerhaft) zu brechen.
Wurzeln im römischen Recht
Die geschichtlichen Wurzeln der Folterpraxis des
deutschen Spätmittelalters
liegen im römischen
Recht. Dies kannte die Folter ursprünglich nur gegenüber Sklaven,
seit dem 1. nachchristlichen Jahrhundert aber bei Majestätsverbrechen
(crimen laesae maiestatis, also Hochverrat),
auch gegenüber Bürgern.
Das
deutsche Lehnwort „Folter“ leitet sich aus dem lateinischen Wort poledrus ‚Fohlen‘ her, der
Bezeichnung für ein pferdeähnliches Foltergerät.
Es
gab zwei Wege, auf denen römisches Recht in das deutsche Recht des
Mittelalters importiert wurde. Zum einen war es das Kirchenrecht,
das sich – mit dem Zentrum der Papstkirche in Rom – von jeher am römischen
Recht orientiert hatte (Merksatz: Ecclesia vivit lege romana ‚die Kirche lebt nach römischem
Recht‘).
Der
zweite Weg, der zur Übernahme des römischen Rechts in das deutsche
mittelalterliche Recht führte, war die sogenannte Rezeption.
In Italien
griff man seit dem beginnenden 12. Jahrhundert, vor allem an der Universität
von Bologna,
auf Grund einer im 11. Jahrhundert wiederentdeckten Handschrift einer großen römischen
Rechtssammlung aus dem 6. Jahrhundert (Corpus
iuris civilis ‚Gesamtwerk des
weltlichen Rechts‘) auf das altrömische Recht zurück, das am Ausgang der Antike
auf eine tausendjährige Entwicklung zurückblicken konnte. Auch im Heiligen
Römischen Reich, wo weltliche Herrschaftsträger sich immer wieder mit
kirchlichen Einrichtungen und deren rechtlich geschulten Klerikern
auseinanderzusetzen hatten, schickte man nun Studenten zum Studium der – im
Reich nicht existierenden – Rechtswissenschaft
an italienische Hochschulen.
Sie traten nach Abschluss ihrer Studien als Träger römisch-rechtlicher
Vorstellungen in die deutsche Rechtspraxis ein.
Mittelalter
Alte
Burg Penzlin – Nachbildung einer Folterkammer
Das
Recht des deutschen Mittelalters war überwiegend von – nur teilweise
schriftlich niedergelegtem – Gewohnheitsrecht
geprägt, das sich örtlich und zeitlich unterschiedlich entwickelte und nicht
wissenschaftlich-systematisch begründet und rational durchdrungen war.
Hatten
Kirchenväter und Päpste
vor der Jahrtausendwende die Anwendung von Folter noch ausdrücklich abgelehnt,
so änderte sich das im spätmittelalterlichen
Kampf der Kirche gegen die häretischen
Bewegungen der Katharer
(Hauptgruppe: Albigenser)
und der Waldenser.
1252 erließ Papst Innozenz
IV. seine Bulle Ad
Extirpanda. Er rief in ihr die Kommunen Norditaliens auf, der Ketzerei verdächtige
Personen mit Hilfe der Folter zum Eingeständnis ihrer Irrtümer zu zwingen,
„ohne ihnen die Glieder zu zerschlagen und ohne sie in Lebensgefahr zu
bringen“. Diese später auf ganz Italien ausgedehnte und von späteren Päpsten
bestätigte Anordnung wurde im 13. Jahrhundert auch im Heiligen Römischen
Reich im kirchlichen Strafverfahren, der Inquisition,
von den dazu verpflichteten weltlichen Behörden angewandt.
Nach
mittelalterlicher Auffassung konnte eine Verurteilung entweder auf Grund der
Aussage zweier glaubwürdiger Augenzeugen
oder auf Grund eines Geständnisses
erfolgen. Hingegen konnten bloße Indizien,
selbst wenn sie noch so zwingend auf die Schuld des Angeklagten hinwiesen, oder
die Aussage eines einzelnen Zeugen keine Verurteilung rechtfertigen. Diese
Auffassung sah man durch bestimmte Bibelstellen wie Deuteronomium
17, 6; 19, 5 und Matthäus
18, 16) gestützt.
Andere
Bezeichnungen für Folter waren Marter, Tortur, Frage in der Strenge
bzw. Frage in der Schärfe oder Peinliche
Befragung. Die Folter selbst war keine Strafe, sondern eine Maßnahme
des Strafverfahrensrechts und sollte eine Entscheidungsgrundlage liefern. Im
Mittelalter wurden sowohl Folter mit physischen Auswirkungen als auch die
sogenannte Weiße
Folter praktiziert.
Spätmittelalter und beginnende Neuzeit
Erste belegte Folterfälle |
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Augsburg
1321, Straßburg, Speyer und Köln
1322, Frankfurt a. M. 2. Hälfte 14. Jhd. |
In
der weltlichen Gerichtsbarkeit
wurde die Folter im Heiligen Römischen Reich seit Anfang des 14. Jahrhunderts
praktiziert. Sie entwickelte sich gegen Ende des Mittelalters
als Mittel des Strafverfahrensrechts
und wurde meist so definiert: Ein von einem Richter rechtmäßig in Gang
gebrachtes Verhör unter Anwendung körperlicher Zwangsmittel zum Zwecke der
Erforschung der Wahrheit über ein Verbrechen.
Zu
den theoretischen Fundamenten der Folteranwendung im Heiligen Römischen Reich
im Römischen Recht kamen etwa seit dem 14. Jahrhundert auch praktische Bedürfnisse
der Verbrechensbekämpfung hinzu. Die Auflösung alter Stammes- und
Sippenstrukturen hatte zu sozialer und auch örtlicher Mobilität geführt, mit
der auch eine verstärkte Kriminalitätsentwicklung einherging. Verarmende Ritter,
umherziehende Landsknechte,
reisende Scholaren,
wandernde Handwerksburschen, Gaukler, Bettler und
sonstiges fahrendes
Volk machten die Landstraßen unsicher. Raubüberfälle und Morde waren an
der Tagesordnung. Die sogenannten „landschädlichen Leute“ bildeten ein
teilweise organisiertes Gewerbs- und Gewohnheitsverbrechertum. Es bedrohte
Handel und Wandel und damit die Grundlagen des Wohlstandes vor allem in den Städten,
für die die Bekämpfung der Kriminalität
daher zu einer Lebensnotwendigkeit wurde.
Das
überkommene deutsche Strafverfahrensrecht war für eine wirksame Verbrechensbekämpfung
weitgehend untauglich. Es hatte auf der Vorstellung beruht, dass die Reaktion
auf begangenes Unrecht allein Sache des Betroffenen und seiner Sippe
war. Verbrechensbekämpfung war überhaupt keine öffentliche Aufgabe gewesen.
Die Rechtsordnung hatte den Beteiligten zwar geregelte Formen für ihre
Auseinandersetzung (Eid, Gottesurteil, Zweikampf) zur
Verfügung gestellt, aber zu einem Verfahren war es lange Zeit nur auf Klage
des Betroffenen oder seiner Sippe hin gekommen. Es hatte sich immer um
Verfahren gehandelt, die erst auf eine private Klage hin zustande kamen: Es
galt das Prinzip: „Wo
kein Kläger, da kein Richter“. Dieser heute noch für den deutschen Zivilprozess
geltende Grundsatz lag lange Zeit auch dem Strafverfahrensrecht zugrunde. Für
den Kampf der staatlichen Obrigkeit gegen die „landschädlichen Leute“ war
dieser Verfahrenstyp weitgehend ungeeignet.
So
griff man auf einen anderen Verfahrenstypus zurück, der sich in der Kirche
entwickelt hatte, nämlich das sogenannte Inquisitionsverfahren
(von lateinisch inquirere ‚erforschen‘). Es ging
nun nicht mehr um eine formale Beweisführung (durch Eid, Gottesurteil, Zweikampf –
die letzteren beiden Beweismittel hatte die Kirche im vierten Laterankonzil
von 1215 ohnedies verboten), sondern um die materielle Wahrheit.
Der
Beweis durch zwei Augenzeugen spielte dabei in der Praxis keine bedeutende
Rolle. Er konnte nur zum Zuge kommen, wenn der Verbrecher sich bei seiner Tat
von zwei Zeugen hatte beobachten lassen und wenn er ungeschickt genug gewesen
war, diese Zeugen überleben zu lassen. So wurde im Inquisitionsverfahren das
Geständnis des Beschuldigten zur „Königin aller Beweismittel“, und das
Geständnis erlange man oft mit Hilfe der Folter.
Ganz
überwiegend vertrat man die Meinung, dass die Folter ein notwendiges Mittel
zur Erforschung der Wahrheit in Strafsachen sei und dass Gott dem Unschuldigen
die Kraft verleihen werde, die Qualen der Folter ohne ein Geständnis zu überstehen.
Die
Anwendung der Folter breitete sich im Laufe des Spätmittelalters
und der frühen Neuzeit nahezu im gesamten Heiligen
Römischen Reich aus.
Gesetzliche
Regelungen zum Gebrauchs der Folter existierten zunächst nicht. Dies führte
zu einer weitgehend willkürlichen
Folterpraxis. Vielfach waren es juristisch nicht gebildete Laienrichter,
die über die Folterung zu entscheiden hatten.
Gesetzliche Regelungen im 15. bis 17. Jahrhundert
Willkürliche
Folterungen infolge fehlender gesetzlicher Regelungen führten zu Klagen.
Ein
auf Deutsch geschriebenes Rechtsbuch,
der um 1436 in Schwäbisch
Hall verfasste Klagspiegel,
geißelte die Missstände der Strafjustiz und versuchte, den Beschuldigten
Anleitungen zu geben, wie sie sich gegen unfähige und willkürliche Richter,
„närrische Heckenrichter in den Dörfern“, mit juristischen Mitteln zur
Wehr setzen könnten. Die Folter, so forderte der Autor, dürfe nur „messiglich
auß vernunft“ angewendet werden.
Das
1495 errichtete Reichskammergericht
berichtete dem Reichstag zu Lindau 1496/97, dass bei ihm Beschwerden eingegangen seien, wonach Obrigkeiten
„Leute unverschuldet und ohne Recht und redliche Ursache zum Tode verurteilt
und richten lassen haben sollen“.
Titel der Constitutio Criminalis Theresiana
von Kaiserin Maria Theresia
1498
beschloss der Reichstag von Freiburg
„eine gemeine Reformation und Ordnung in dem Reich führzunehmen, wie man in
Criminalibus procedieren solle“. Fünf Reichstage befassten sich in Folge mit
der geforderten Regelung von Strafverfahren. Der 1532 in Regensburg
abgehaltene Reichstag stimmte der „Peinlichen
Gerichtsordnung Kaiser Karls V.“ zu.
Besonders
eingehend regelte dieses neue Gesetz die Folter. Sie durfte danach nur
angewendet werden, wenn gegen den Beschuldigten schwerwiegende Verdachtsgründe
vorlagen und wenn diese Verdachtsgründe durch zwei gute Zeugen oder die Tat
selbst durch einen guten Zeugen bewiesen waren. Vor der Entscheidung über die
Anwendung der Folter müsse dem Angeklagten Gelegenheit zur Entlastung gegeben
werden. Selbst bei feststehenden Verdachtsgründen dürfe nur gefoltert werden,
wenn die gegen den Angeklagten vorliegenden Gründe schwerwiegender als die für
seine Unschuld sprechenden Gründe seien. Das Maß der Folterung habe sich nach
der Schwere der Verdachtsgründe zu richten. Ein unter der Folter abgelegtes
Geständnis dürfe nur verwertet werden, wenn der Angeklagte es mindestens
einen Tag später bestätige. Auch dann müsse der Richter es noch auf seine
Glaubwürdigkeit überprüfen. Der Gebrauch der Folter entgegen den
Vorschriften des Gesetzes müsse zur Bestrafung der Richter durch ihr
Obergericht führen.
Die
Peinliche Gerichtsordnung führte eine Reihe von Schutzklauseln zu Gunsten des
Beschuldigten ein. Gemessen an den Maßstäben der Zeit war es fortschrittlich.
Aber auch nach diesen Maßstäben wies es Lücken auf. Vor allem regelte es
nicht Art und Maß der Folter und die Voraussetzungen ihrer wiederholten
Anwendung, sondern überließ all dies der „ermessung eyns guten vernünfftigen
Richters“. Insofern brachten manchmal erst spätere Territorialgesetze nähere
Regelungen, z. B. die bayerische Malefiz-Prozessordnung von 1608.
Im
Großen und Ganzen hat die Peinliche Gerichtsordnung, die als Reichsrecht erst
mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches im Jahre 1806 das Ende ihrer
Geltung fand (als Landesrecht konnte sie auch später noch angewendet werden),
ihr Ziel zurückhaltenderen Foltergebrauches wohl erreicht. In manchen Städten
und Territorien ist sie in dieser Richtung durch städtische oder
Territorialgesetze noch ergänzt, teilweise modifiziert worden. Dazu kamen
differenzierte Lehren zur Folter, die die lange Zeit im Reich dominierende
italienische Strafrechtswissenschaft entwickelte.
Hexenverfolgungen
Folter von Frau und Tochter
eines Fuhrmanns
in Mellingen Hans Ueli (1577)
Nahezu
unwirksam war die Peinliche
Gerichtsordnung bei den massenhaften Hexenverfolgungen
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und im 17. Jahrhundert. Für diese
Hexenverfolgungen war es – ebenso wie für die zeitlich meist früheren Ritualmordbeschuldigungen
gegen Juden –
kennzeichnend, dass man so lange, so heftig und so oft folterte, bis die von
den Peinigern erwünschten Geständnisse vorlagen. Verschärfend kam hinzu,
dass die so Verhörten oftmals selbst dem entsprechenden Aberglauben anhingen
und mit den zu gestehenden Wahnbildern vertraut waren.
Die
Begründung für die Missachtung der Peinlichen Gerichtsordnung bei den großen
Hexenverfolgungen war auf katholischer
wie auf protestantischer
Seite die gleiche. Die Hexerei sei ein crimen exceptum, ein
Ausnahmeverbrechen (so der katholische Weihbischof in Trier Peter
Binsfeld in seinem berühmt-berüchtigten Hexentraktat
von 1589), ein crimen atrocissimum, ein Verbrechen schrecklichster Art
(so der Lutheraner
und sächsische Rechtsgelehrte Benedikt
Carpzov in einem 1635 erschienen Kriminallehrbuch) – bei solchen
Verbrechen brauche man die normalen Verfahrensregelungen nicht zu beachten.
Die
Rechtsprechung des Reichskammergerichts
war in den 255 Fällen, in denen es Verfahren mit Bezügen zum Hexereidelikt
durchzuführen hatte, streng an der Peinlichen Gerichtsordnung orientiert. Es
lehnte die Theorie vom Ausnahmeverbrechen ab und verlangte, dass alle Indizien
auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht werden müssten, bevor es zu einer
Folterung kommen durfte.
Wegbereitend
für die Beendigung der Folterpraxis in Hexenprozessen war die Cautio
Criminalis, eine Stellungnahme des Jesuiten Friedrich
Spee gegen die Folter in Hexenprozessen (1631).
Abschaffung der Folter im 18. Jahrhundert
Vereinzelte
Bedenken gegen den Sinn und die Rechtmäßigkeit der Folter hat es schon im
Mittelalter gegeben. Der geistesgeschichtliche Kampf gegen die Folter setzte
bereits vor der Aufklärung
und überwiegend außerhalb Deutschlands ein. Der Humanist, Philosoph und
Theologe Juan
Luis Vives, ein spanischer Judenkonvertit, lehnte die Folter in einer 1522
erschienenen Schrift als unchristlich und sinnlos ab. Der französische
Philosoph Michel
de Montaigne führt in den kurz vor 1580 erschienenen Essays aus, dass man
es abscheulich und grausam finden könne, einen Menschen wegen eines noch
ungewissen Verbrechens zu foltern und zweifelt darüber hinaus daran, dass die
unter Folter gewonnenen Aussagen verlässlich seien.
1602
wandte sich der reformierte (calvinistische) Pfarrer Anton
Praetorius in seinem „Gründlichen Bericht Von Zauberey und Zauberern“
gegen die Folter: „In Gottes Wort findet man nichts von Folterung,
peinlichem Verhör und Bekenntnis durch Gewalt und Schmerzen. (…) Peinliches
Verhör und Folter sind schändlich, weil sie vieler und großer Lügen Mutter
ist, weil sie so oft den Menschen am Leib beschädigt und sie umkommen: Heute
gefoltert, morgen tot.“
Als
„barbarisch, unmenschlich, ungerecht“ bezeichnete 1624 der calvinistische
Geistliche Johannes
Grevius die Folter. 1657 entstand an der Universität Straßburg unter dem
Theologieprofessor Jakob
Schaller eine Dissertation mit dem Titel: „Paradoxon der Folter, die in
einem christlichen Staat nicht angewendet werden darf“. 1681 schlug der
Franzose Augustin
Nicolas in einer Schrift dem französischen König Ludwig
XIV. vor, die Folter als Vorbild für alle christlichen Fürsten
abzuschaffen, jedoch vergeblich. Der französische Philosoph und Schriftsteller
Pierre
Bayle, ein Vertreter der Idee der Toleranz,
kämpfte in einer 1686 erschienenen Schrift gegen die Folter. 1705 nahm der
aufklärerisch wirkende deutsche Jurist und Rechtsphilosoph Christian
Thomasius eine Doktorarbeit mit dem Titel an: „Über die notwendige
Verbannung der Folter aus den Gerichten der Christenheit“.
Der
Sache nach – wenn auch nicht ausdrücklich – plädierte auch der deutsche
Jesuit Friedrich
Spee gegen die Folter. Spee übte in der bereits 1631 in seiner anonym
erschienenen Schrift „Cautio
Criminalis“ radikale Kritik an den Hexenverfolgungen.
Als
Gegner der Folter äußerten sich weiterhin der französische
Staatswissenschaftler Charles
de Montesquieu 1748, der französische Aufklärungsphilosoph Francois
Marie Voltaire und 1764 der italienische Jurist Cesare
Beccaria.
Allmählich
brach im 18. Jahrhundert der Widerstand der Obrigkeit und ihrer Juristen gegen
die Abschaffung der Folter zusammen. Friedrich
Wilhelm I. schaffte in Preußen am 13. Dezember 1714 de facto die
Hexenprozesse ab, indem er bestimmte, dass jedes Urteil auf Vollziehung der
Folter und jedes Todesurteil nach einem Hexenprozess von ihm persönlich zu
bestätigen war. Da diese Bestätigung nie erfolgte, gab es in Preußen keine
Hexenprozesse mehr.
Der
Preußenkönig Friedrich
der Große ließ bereits wenige Tage nach seinem Amtsantritt in einer
Kabinettsorder vom 3. Juni 1740 die „Tortur“ ausdrücklich abschaffen,
allerdings mit drei Ausnahmen: Hochverrat, Landesverrat und „große“
Mordtaten mit vielen Tätern oder Opfern. 1755 wurden auch diese Einschränkungen
beseitigt, ohne dass bis dahin ein solcher Ausnahmefall eingetreten war.
Friedrichs Denken war stark von der Toleranzphilosophie Bayles beeinflusst.
Wenige Jahrzehnte später folgten andere Territorien im Reich, wie die Übersicht
rechts zeigt.
Die
Entwicklung im übrigen Europa verlief ähnlich. 1815 wurde die Folter im Kirchenstaat
abgeschafft. Zuletzt erfolgte die Abschaffung 1851 im schweizerischen Kanton
Glarus, wo 1782 an Anna
Göldi auch eine der letzten Hinrichtungen wegen Hexerei in Europa
vollzogen wurde.
Eigentliche
Ursache für die Abschaffung der Folter im 18. Jahrhundert war, wie Michel
Foucault in „Überwachen
und Strafen“ ausführt, nicht etwa vorrangig ein aufgeklärter
Humanismus, sondern recht pragmatische Überlegungen: Folter bringe nämlich
zwar schnelle Geständnisse, diene in der Regel aber nicht der
Wahrheitsfindung, da der Gefolterte naturgemäß das sage und sagen muss, was
der Folternde hören will, bzw. erwartet. Folter sei demnach seinerzeit als der
Verbrechensbekämpfung eher hinderlich gesehen worden.
Die Frage der Beweisführung
Mit
der Abschaffung der Folter war nicht das für die Allgemeinheit und die Richter
wichtige Problem gelöst: Wie sollte erreicht werden, dass Schuldige einer
Strafe zugeführt, Unschuldige aber freigesprochen würden? Zunächst versuchte
man, an Stelle der abgeschafften Folter Schikanen zu praktizieren, um Geständnisse
zu erreichen. Man verprügelte die Beschuldigten, was kein traditionelles
Mittel der Folter war. Man versuchte es mit endlosen Verhören, mit Zureden
oder Drohungen, mit der Verhängung von Ungehorsams- oder Lügenstrafen, mit
der Entziehung von Kost im Gefängnis. Rechtswissenschaftlich überzeugend und
human waren diese Lösungen nicht.
Da
das Geständnis seine Rolle als Königin aller Beweismittel nun ausgespielt
hatte, stellte sich die Frage nach dem Wert von Indizien.
Man sträubte sich etwa, die Todesstrafe
auf der Grundlage von Indizienbeweisen zu verhängen. Es entstanden Lehrbücher
mit Theorien über die Indizien; man unterteilte in vorausgehende,
gleichzeitige und nachfolgende Indizien, in notwendige und zufällige,
unmittelbare und mittelbare, einfache und zusammengesetzte, nahe und entfernte.
Die Unsicherheit der Rechtsgelehrten spiegelte sich noch in der Gesetzgebung
des 19. Jahrhunderts. Erst allmählich erkannte man, dass es sinnlos war, die
richterliche Überzeugungsbildung in ein Korsett gesetzlicher Regelungen zu zwängen,
sondern dass die Lösung in der Anerkennung des Grundsatzes der freien
richterlichen Beweiswürdigung
bestand. Dieser Grundsatz wurde dann 1877 in die Reichsstrafprozessordnung übernommen.
Noch heute gilt er in unverändertem Wortlaut als § 261 der deutschen
Strafprozessordnung: „Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das
Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.“
Quelle: Wikipedia